29 HANDSCHUHRAUB EINLADUNG


HANDSCHUHRAUB
K&K

ERÖFFNUNG
MITTWOCH, 24. MÄRZ 2004

29 HANDSCHUHRAUB TEXT

„Gerade an diesem Tag schien Octave seine schöne Ausgelassenheit zu verlieren; er, der für gewöhnlich mit der gemessenen Grazie eines Taschenspielers das Fieber seiner Kundinnen schürte, war nun selber gleichsam der jähen Leidenschaft verfallen, von der allmählich die Verkaufsräume glühten. Seit er Denise und Frau Desforges die große Treppe hatte heraufkommen sehen, sprach er unwillkürlich lauter und gestikulierte; und während er so tat, als wende er nicht den Kopf nach ihnen, wurde er immer lebhafter, je näher er sie kommen fühlte.

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  29 Handschuhraub

„Gerade an diesem Tag schien Octave seine schöne Ausgelassenheit zu verlieren; er, der für gewöhnlich mit der gemessenen Grazie eines Taschenspielers das Fieber seiner Kundinnen schürte, war nun selber gleichsam der jähen Leidenschaft verfallen, von der allmählich die Verkaufsräume glühten. Seit er Denise und Frau Desforges die große Treppe hatte heraufkommen sehen, sprach er unwillkürlich lauter und gestikulierte; und während er so tat, als wende er nicht den Kopf nach ihnen, wurde er immer lebhafter, je näher er sie kommen fühlte. Sein Gesicht rötetet sich, in seine Augen trat etwas von dem grenzenlosen Entzücken, von dem mit der Zeit die Augen der Käuferinnen flackerten. ‚Man muss sie gewaltig bestehlen‘, murmelte Vallagnosc, der fand, dass es in der Menge verbrecherische Mienen gebe. Mouret hatte die Arme weit ausgebreitet.

‚Mein Lieber, das übertrifft jede Vorstellung.‘ Und entzückt, einen Gesprächsstoff zu haben, schilderte er höchst angeregt eine unversiegliche Fülle von Einzelheiten, erzählte Tatsachen, leitete daraus eine Einteilung nach Klassen ab.

Als erstes erwähnte er die Berufsdiebinnen, sie seien das geringste Übel, weil die Polizei sie fast alle kenne. Dann folgten die an krankhafter Stehlsucht leidenden, einer Entartung der Begierde, einer neuen Nervenkrankheit, die ein Irrenarzt klassifiziert und daran die akute Auswirkung der von grossen Warenhäusern ausgeübte Verlockung dargetan habe.

Schließlich gebe es noch die schwangeren Frauen, die es beim Stehlen auf etwas Bestimmtes abgesehen hätten: so habe bei einer von ihnen der Polizeikommissar zweihundertachtundvierzig Paar rosa Handschuhe entdeckt, die in allen Läden von Paris zusammengestohlen waren.

‚Deshalb haben die Frauen hier so seltsame Augen!‘ murmelte Vallagnosc. Ich habe sie mir genau angesehen, mit ihren zugleich lüsternen und verschämten Gesichtern irrer Geschöpfe... Eine nette Schule der Ehrbarkeit.‘ ‚Ach ja!‘ erwiderte Mouret, ‚man mag es ihnen hier noch so heimisch machen, deshalb kann man doch nicht zulassen, dass sie die Waren unter iherm Mantel davontragen... Und zwar sehr vornehme Leute. In der vergangenen Woche haben wir die Schwester eines Apothekers und die Frau eines Parlamentsrates gefasst. So etwas bemüht man sich gütlich beizulegen.‘ Er unterbrach sich, um auf Inspector Jouve zu deuten, der unten bei den Tischen mit den Bändern einer schwangeren Frau nachging.“

aus: Émile Zola: „Das Paradies der Damen“,
edition ebersbach, Berlin, 2000, S. 328 / 329,
(„Au Bonheur des Dames“, Paris, 1860)