03 SIBYLLE EINLADUNG


SIBYLLE
K&K

ERÖFFNUNG
SONNTAG, 24. MÄRZ 2002

03 SIBYLLE TEXT

In aktuellen Modemagazinen blättern wir auf der Suche nach Identifikation mit dem Zeitgeist. Bei alten Jahrgängen haben wir mehr Distanz. Sie lassen sich auf mehreren Ebenen lesen und beurteilen: Wir sehen die Qualität der Fotos, gelungene und weniger geglückte Layouts, es erschließt sich ein historisches Frauenbild und die Erinnerung an vergangene Moden lassen sich auch zur eigenen Biografie ins Verhältnis setzen. Reizvoll aus heutiger Sicht ist das nicht ganz weiße, matte Papier, die wie coloriert wirkenden Farben, wenig Werbeanzeigen. (Auch diese ein Spiegel der Zeit, zum Beispiel die Werbung: „Trinke nicht wahllos, trinke Rotwein.“)

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  03 Sibylle

In aktuellen Modemagazinen blättern wir auf der Suche nach Identifikation mit dem Zeitgeist. Bei alten Jahrgängen haben wir mehr Distanz. Sie lassen sich auf mehreren Ebenen lesen und beurteilen: Wir sehen die Qualität der Fotos, gelungene und weniger geglückte Layouts, es erschließt sich ein historisches Frauenbild und die Erinnerung an vergangene Moden lassen sich auch zur eigenen Biografie ins Verhältnis setzen. Reizvoll aus heutiger Sicht ist das nicht ganz weiße, matte Papier, die wie coloriert wirkenden Farben, wenig Werbeanzeigen. (Auch diese ein Spiegel der Zeit, zum Beispiel die Werbung: „Trinke nicht wahllos, trinke Rotwein.“)

Die SIBYLLE war ein Produkt der DDR mit dem Anspruch, alltagstaugliche Mode für die „moderne Frau“ zu zeigen. In ihrer Blütezeit in den 60er Jahren übernahm ein neues Team die Redaktion: Margot Pfannstiel als Chefredakteurin, Dorothea Bertram als Moderedakteurin und Axel Bertram als Grafiker. Mit Dorothea Bertram (später Melis) kam eine junge Absolventin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee zur Zeitschrift, die unbelastet von der Nazizeit eine neue Haltung zur Mode und zur Modefotografie verkörperte. Zum Beispiel fotografierte im Heft 5 / 65 Arno Fischer Wintermode in der Großstadt: Bilder vom verschneiten Berlin und Frauen in Wintermänteln vor Plattenbauten. Schwarz / weiß war vorherrschend, großzügige Layouts, teilweise ganzseitige Fotos. Weitere Beispiele gibt es von Arno Fischer, Ute Mahler, Sibylle Bergemann. Die Zensur durch die Frauenkommission beim Zentralkomitee der SED stellte teilweise absurde Forderungen: Alle Konsumgüter, die schwer zu erhalten waren, durften nicht abgebildet werden. Zum Beispiel Autos. Auch in punkto Erotik war die zuständige Frauenkommission des ZK der SED empfindlich. Im Heft 5 / 68 musste ein Tweedrock per Retusche bis zum Knie verlängert werden: „Unsere Frauen wirken durch ihre Persönlichkeit und nicht durch erotische Ausstrahlung“. Handwerkliche Strenge und Lebensnähe kennzeichneten die Qualität der SIBYLLE-Fotografie. Hinzu kam, dass die Bild-Hintergründe den Lesern oft bekannt waren. Die Models wirkten individuell, nicht wie Schönheiten von der Stange. Das lag vor allem daran, dass es bis in die 70er Jahre keine Profimodels in der DDR gab, die Frauen arbeiteten neben ihren eigentlichen Berufen für die SIBYLLE. Das Team in der Zeitschrift musste seinen Weg zwischen dem eigenen Anspruch, politischen Vorgaben und den Leserinnen suchen, die fragten: „Wo kann ich das kaufen?“ Die Kleidung, die es in der DDR zu kaufen gab, entsprach selten dem, was sich die Moderedakteure wünschten. Einen Ausgleich boten die SIBYLLE-Modelle. Damit verwirklichte die Redaktion eigene Vorstellungen von modischer Kleidung und den Leserinnen boten die beiliegenden Schnitte die Möglichkeit, diese selbst zu nähen. Nicht zuletzt war die SIBYLLE auch eine Kulturzeitschrift. Es gab Porträts von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, Beiträge über Literatur, Theater, Design, Architektur. Hinzu kamen Kochrezepte, aber beispielsweise auch die Serie: „Was die moderne Frau über Kybernetik wissen muss“(1968). Engagierten Redakteurinnen gelang es, die Zeitschrift bis 1995 weiterzuführen. Doch der Kreis der Leserinnen war zwar treu, aber zu exklusiv. Unsere Ausstellung ist deshalb eine späte Huldigung auf den Anspruch, alltagstaugliche Mode zu präsentieren. Die SIBYLLE erschien von 1956 bis 1995 sechs Mal im Jahr mit einer Auflage von ca. 200.000 Exemplaren zu einem Preis von 2,50 Mark. Mit ca. 250 Heften ist ein repräsentativer Überblick zu sehen.